Die Onkologie stellt zurzeit das prototypische medizinische Feld für die Entwicklung personalisierter systemmedizinischer Ansätze auf der Basis einer Translation von molekularen Hochdurchsatz-Omics-Daten in die reale Patientenversorgung dar. Tumoren des Gehirns bieten grundsätzlich ein attraktives Ziel zur Erprobung und Implementierung neuartiger individuell zugeschnittener Behandlungsstrategien, da die derzeitigen Behandlungsmöglichkeiten für diese Tumorentitäten begrenzt sind und die Prognose der meisten glialen Neoplasien äußerst schlecht ist. Die genomische Charakterisierung zur Therapiestratifikation allein zeigte für Hirntumoren bislang nur begrenzten Erfolg, da die meisten Gliome durch genomische Veränderungen hervorgerufen werden, die nicht unmittelbar therapeutisch adressierbar sind. Aus diesem Grund bietet die Generierung einer weiterführenden (Phospho)Proteomkomponente zusätzlich zu morphogenomischen Daten einen möglicherweise lohnenden Ansatz zur Identifizierung neuer zielgerichteter molekularer Vulnerabilitäten und zur Auswahl von Biomarkern in dieser Tumorfamilie.
Die deutschlandweit rekrutierende klinische Registerstudie MASTER (Molecularly Aided Stratification for Tumor Eradication) und die molekularen Tumorboards, die gerade an großen Krebszentren etabliert werden, stratifizieren Patienten ohne zufriedenstellende therapeutische Optionen für experimentelle Therapien auf Basis von Genom-, Transkriptom- und Methylierungsprofilen. Es wird dabei erprobt, ob eine derartige, breit angelegte molekulare Charakterisierung die Therapieselektion und letztendlich das Überleben der Patienten verbessert. Eine der wesentlichen bisherigen Schwächen eines solchen Ansatzes ist, dass Daten aus der therapeutisch wichtigen Schicht des (Phospho)Proteoms derzeit nicht enthalten sind, sodass die derzeitigen Stratifizierungsansätze rein deskriptiv sind und nicht auf funktionellen Charakterisierungen beruhen.
Um diese Lücke zu schließen, führt ein interdisziplinäres Team von Wissenschaftlern im Rahmen des CLINSPECT-M-Arbeitspakets 4 eine umfassende quantitative (Phospho)Proteom-Profilierung an einer retrospektiven Kohorte von Gliompatienten (ausgewählt aus molekularen Tumorboards) sowie an prospektiven molekularen Tumorboard-Fällen durch. Dieser Ansatz wird unser Wissen über die Durchführbarkeit der (Phospho)Proteom-Profilierung mittels Massenspektrometrie im Rahmen groß angelegter personalisierter Patienten-Stratifizierungsprogramme und über das Potenzial von (Phospho)Proteom-Daten zur Verbesserung der Empfehlung experimenteller Therapien in molekularen Tumorboards erheblich erweitern.
Ein Team herausragender Neurochirurgen um Prof. Bernhard Meyer (Klinik für Neurochirurgie, Universitätsklinikum Rechts der Isar) arbeitet an der Auswahl geeigneter Gliompatienten. Sie implementieren eine CLINSPECT-M-Datenbank und verwenden die in WP4 generierten Omics-Daten, um Unterschiede in den Empfehlungen des klinischen molekularen Tumorboards zu bewerten, indem sie den Standard-Genomik-Ansatz mit dem Proteogenomik-Ansatz vergleichen. Die morphologische Bewertung und Annotation übernehmen erfahrenen Pathologen aus dem Team von Prof. Wilko Weichert (Institut für Allgemeine und Chirurgische Pathologie, Technische Universität München), der die deutschlandweite MASTER-Registerstudie koordiniert und einer der Koordinatoren des molekularen Tumorboards des Comprehensive Cancer Center Munich (CCCM), welches mehr als 1000 Patieten pro Jahr umfasst, ist. Das Team entwickelte und führt spezifische Protokolle zur Extraktion von (Phospho)proteinen aus formalinfixiertem, in Paraffin eingebettetem diagnostischem Tumormaterial von eingeschlossenen Gliompatienten durch.
Die extrahierten Analyten werden einem standardisierten, robotergestützten Arbeitsablauf unterzogen, der für die quantitative Hochdurchsatz-(Phospho)Proteomik optimiert ist. Dieser Teil der Arbeit wird von Proteomik-Experten aus dem Labor von Prof. Bernhard Küster (Lehrstuhl für Proteomik und Bioanalytik, Technische Universität München) durchgeführt. Die anschließende Analyse aller proteomischen und phosphoproteomischen Profile mit modernsten bioinformatischen Ansätzen und die Entwicklung neuer Softwaretools zur automatisierten Auswertung der proteogenomischen Daten für das molekulare Tumorboard wird von einem Team hochqualifizierter Bioinformatiker um Prof. Julien Gagneur (Computational Molecular Medicine, Technische Universität München) übernommen. Dieses interdisziplinäre Team herausragender Wissenschaftler arbeitet eng zusammen, um das gemeinsame Ziel zu erreichen, molekularen Tumorboards multiple Omics-Daten zur Verfügung zu stellen, um die Empfehlungen für gezielte molekulare Therapien und neue immuntherapeutische Ansätze zu verbessern..